Kommunikationsfallen im Chat: Verstehen und verstanden werden

Chatten als Beliebte Kommunikationsform

Chatten ist eine der beliebtesten Formen der Online-Kommunikation und wird in vielen Beratungsstellen auch als ein Format der Online-Beratung genutzt. Anders als in anderen Online-Beratungsformaten kommt es im Chat häufiger zu Missverständnissen, da die schriftliche Kommunikation auf Tonfall und Körpersprache verzichtet, wodurch Missverständnisse leichter entstehen können.

Zwischen Schnelligkeit und Klarheit

Chatten ist eine hybride Version von gesprochener und geschriebener Sprache. Inhalte werden kurz und knapp auf den Punkt gebracht, und es gibt nicht viel Zeit, über eine Nachricht nachzudenken, denn nichts ist leidiger, als mehr als eineinhalb Minuten auf die Antwort zu warten. Daher ist Schnelligkeit beim Tippen von zentraler Bedeutung, während Zeichensetzung und Rechtschreibung hintenangestellt werden können, um das schriftliche Gespräch „im Flow“ zu halten. Unter Zeitdruck handeln Menschen impulsiver und schreiben abweisender oder schroffer. Manchmal wird schneller getippt als gedacht 😉

„Was meinen sie denn jetzt?“

Im Chat sind wir auf die nackten Worte beschränkt, es fehlen Tonfall und Betonung, um die Worte zu ergänzen oder zu korrigieren. Für beratende Menschen, die ihre Fähigkeiten im auditiven Bereich haben, und Informationen aus der Tonlage, Klangfarbe und Modulation vertrauen, um Bedeutungen zu verstehen und Emotionen zu spüren, ist Chatten eine Herausforderung. Viele Online-Beratende finden es schwer, nonverbale Signale in Chats auszudrücken und lehnen Emoticons als unprofessionell ab. Dabei helfen diese Symbole, wie Smileys oder Akronyme, die Kommunikation zu vereinfachen und Emotionen zu transportieren. Emoticons können eine Botschaft emotional wärmer und sympathischer machen und helfen, Missverständnisse zu vermeiden. Trotz ihrer wichtigen Funktion im Chat, glauben viele Beratende, dass diese Ausdrucksmittel nur für informelle Gespräche geeignet sind. Es kann hilfreich sein, diese „Chatsprache“ zu lernen und zu nutzen, um die Kommunikation lebendiger und persönlicher zu gestalten. Der Gebrauch von Smileys oder Akronyme kann nützlich sein, da das Fehlen von nonverbalen Hinweisen in Chats leicht zu Missverständnissen führen kann.

Hoch belastete Ratsuchende

In Deutschland sind drei von zehn Menschen von einer mentalen Krankheit betroffen, wobei Frauen zwischen 18 und 34 Jahren besonders psychisch belastet sind. Hoch belastete Menschen kämpfen mit Problemen wie Arbeitslosigkeit, Trennung und Gewalt. Viele leiden unter psychischen Erkrankungen oder sind traumatisiert, was zu einem erhöhten Stressniveau führt. Chronischer Stress beeinträchtigt Körper und Geist und kann Stimmungsänderungen verursachen. Viele dieser Menschen suchen im Chat nach Unterstützung. Die Begleitung hoch belasteter Menschen ist eine besondere Herausforderung, da gewohnte Bewältigungsstrategien nicht greifen. Die emotionale Zündschnur ist kürzer, und Konflikte können leichter eskalieren. Daher ist die Entwicklung speziell angepasster Interventionskonzepte für den Chat notwendig, um eine intensive und langfristige Unterstützung sicherzustellen, damit diese Ratsuchenden sich stabilisieren können.

Chunking

Ein psychologisches Konzept, bei dem Informationen in kleinere, leichter verarbeitbare Teile unterteilt werden, könnte dabei helfen. Es erleichtert das Verstehen und Merken von komplexen Informationen, wie z.B. einer Telefonnummer, indem sie in Teile aufgeteilt wird. Im Beratungs- und Chatkontext hilft das Aufteilen von Informationen in Chunks dabei, die Aufmerksamkeit zu erhöhen und das Verstehen zu erleichtern.

Die Zwei Seiten der Anonymität

Menschen lassen mehr von ihrer wahren Natur durchscheinen, wenn sie allein und unbeobachtet sind, was für die Beratung hilfreich und zugleich eine Herausforderung darstellt. Die Anonymität beim Chatten verringert soziale Hemmungen und ermöglicht mehr Offenheit, sowohl positiv als auch negativ. Menschen sind ehrlicher, können aber auch aggressiver, unhöflicher oder wütender sein. Die fehlende unmittelbare Konsequenz fördert den Mut, aber auch das Risiko von Provokationen und Beleidigungen, sowohl bei Ratsuchenden als auch Beratenden.

Fasse dich kurz

Im Chat wird nur das Nötigste kommuniziert, denn Schreiben ist zeitaufwändiger als Sprechen. Im Vergleich zu einem mündlichen Gespräch wird nur etwa ein Viertel der Information übertragen. (Knatz & Schumacher 2019) Die Reduktion der Information auf das Wesentliche lässt Raum für Interpretationen und kann Verunsicherung schaffen. Zudem fallen viele Ratsuchende mit der Tür ins Haus, und das macht Druck. Wie gehe ich mitfühlend, einladend, und schnell reagierend damit um, wenn der Chateinstieg heißt: „Um so eine wie mich ist es nicht schade“?

Fake Verdacht

Die Schnelligkeit und die lückenhaften Informationen bieten mehr Interpretations- und Deutungsmöglichkeiten. Dies wird verstärkt durch das fehlende Feedback, das wir normalerweise durch die nonverbalen Kommunikationselemente erhalten. Ein Chat kann schnell als unaufrichtig oder gefälscht empfunden werden, besonders wenn die Geschichte dramatisch oder unglaubwürdig erscheint. Der Versuch, die Wahrheit zu überprüfen, kann problematisch sein, da es keine objektive Realität gibt, und führt oft zu Missverständnissen oder Verletzungen. Anstatt nach der Wahrheit zu suchen, sollte man sich auf die Wirkung konzentrieren und die positiven Absichten hinter dem Verhalten erkunden. Es ist wichtig, nicht in eine detektivische Rolle zu verfallen, sondern die Situation eher ethnologisch zu verstehen.

Fazit

Chatten kann als ein effektives Online-Beratungsformat genutzt werden, erfordert jedoch ein tiefes Verständnis seiner Dynamiken und potenziellen Fallstricke, um ihn effektiv und empathisch in der Beratung einzusetzen.

Autorin des Beitrags
Birgit Knatz